Unsere Chronik
Die Ära der Kleintierzüchter im III. Reich
Aufschwung der Pfullendorfer Kleintierzucht – Reduzierung der Rassenvielfalt
Der Aufsatz „Die Ära der Kleintierzüchter im III. Reich“, Vereinsthema 2003, beschreibt Licht und Schatten der Kleintierzucht im damaligen Deutschland. Er behandelt am Beispiel des Pfullendorfer Kleintierzuchtvereines den Versuch des Reichsnährstandes, auch die Kleintierhalter zur Erlangung der landwirtschaftlichen Autarkie, heranzuziehen.
Am 09.Juli 1939 eröffnete der Ortsbauernführer Carl Roth im Auftrag von Kleintierhaltern die Wiedergründungsversammlung des Pfullendorfer Kleintierzuchtvereines, nachdem 1933 der Verein aufgelöst worden war. 1933 zählte der Verein gerade noch 5 Mitglieder, 1942 zählte er 60 Personen und war damit in der damaligen Kreisfachgruppe (Kreisverband) Stockach von 19 Vereinen der Mitgliederstärkste. Wie kam dieser Aufschwung zustande?
Sicherlich spielte in jenen Jahren die volkswirtschaftliche Bedeutung auch von Kleintieren und eine straffe Organisation im Reichsnährstand eine Rolle. Um die landwirtschaftliche Autarkie zu erlangen, wurden auch die Kleintierhalter als Teil der Volksgemeinschaft zur Erreichung dieses Staatszieles herangezogen. Damit war die Kleintierhaltung volkswirtschaftlich von Bedeutung. Es sollte möglichst wenig an Futtermittel anderen Bereichen entzogen werden. So mussten Ressourcen, die bisher wenig oder gar nicht genutzt wurden, herangezogen werden. Einige Beispiele: So konnte das Kaninchen von Küchenabfällen wie Kartoffelschalen oder Gemüse, von Wildkräutern wie Löwenzahn, Brennnessel, Ackerdistel, Gras von Wegrändern und Ödflächen, ernährt werden. Der Geflügelhalter konnte seine Ausläufe mit Maulbeersträuchern bepflanzen und so mit Seidengewinnung eine zusätzliche Einnahmequelle erschließen. Bei der Wiedergründung 1939 sicherte die Stadt Pfullendorf, vertreten durch den Bürgermeisterstellvertreter Bauer, dem Verein volle Unterstützung zu.
Der Reichsnährstand mit seinen Unterorganisationen war in der Lage die notwendigen Maßnahmen einzuleiten u. zu überwachen. Er war eine Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts mit eigenem Satzungsrecht und unterstand der Aufsicht des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft. Im Reichsnährstand, geführt vom Reichsbauernführer, waren sämtliche landwirtschaftlichen Organisationen zusammengefasst worden. Hierzu gehörten auch die Kleintierzüchter. Nach der Zerschlagung der freien Vereine anlässlich der Gleichschaltung waren die Kleintierzuchtverbände 1934 dem Reichsnährstand angegliedert worden. Die Spitzengliederung der gesamten Kleintierzüchter war der Reichsverband Deutscher Kleintierzüchter. Zu ihm gehörten Einheitsorganisationen wie zum Beispiel die Reichsfachgruppe der Kaninchenzüchter, der landwirtschaftlichen Geflügelzüchter, der Ausstellungsgeflügelzüchter, der Imker, der Ziegenzüchter oder Seidenbauer. Damit der einzelne Kleintierhalter in seinem Bereich möglichst wirkungsvoll wirtschaftete wurde so zum Beispiel bei den Kaninchen und bei den Hühnern die Förderung durch das Reich auf wenige anerkannte Wirtschaftsrassen reduziert.
Als Wirtschaftsrassen wurden beim Geflügel 4 Rassen anerkannt: Weiße Leghorn, rebhuhnfarbige Italiener, Rhodeländer, weiße Wyandotten. Bei den Kaninchen fanden 7 Rassen die Anerkennung: Angora, Wiener Kaninchen, das Helle Großsilber-Kaninchen, das Deutsche Großsilber-Kaninchen, das Groß-Chinchilla-Kaninchen, das Klein-Chinchilla-Kaninchen und das Deutsche Widder. Die „Sportkaninchenzucht“ musste der „Nutzkaninchenzucht“ weichen. Die Wirtschaftsrassen brachten insgesamt gute Erträge. Ein 1936 angelaufener 4-Jahresplan gewährte Reichszuschüsse zur Beschaffung von Vereinsrammlern, gekörten Hähnen, Stallneu-u. Umbauten, Maulbeersträucher zur Seidengewinnung usw. Die Pfullendorfer wählten das Deutsche Widder zur Vereinsrasse. Es konnte ein Lebendgewicht von 5 kg erreichen und war ein guter Fellträger.
Das Angorakaninchen brachte damals den höchsten Nutzen. Gewonnen wurde durch die Schur regelmäßig hochwertige, gut bezahlte Angorawolle. 250 gr durfte man für sich behalten. Mit der Wolle des Angora wurde vor allem warme Bekleidung für die Luftwaffe hergestellt. Das Fleisch des geschlachteten Kaninchens durfte der Erzeuger zur eigenen Verwertung behalten. Mit Kriegsbeginn 1939 wurden sämtliche anfallenden Kaninchenfelle beschlagnahmt und mussten innerhalb von 3 Wochen abgeliefert werden. Am 01.10.1939 wurde Zuchtfreund Edw. Türk mit der Fellablieferungsstelle in Pfullendorf betraut. Um 1942 wurden alle Kaninchenfelle für Wehrmachtsbedarf benötigt. Um den großen Bedarf an Fellen zu decken, hielten auch Wehrmacht, Reichsarbeitsdienst, die SS usw. auf ihren Anlagen Zucht- und Haltungsbetriebe. Der Kleintierzüchter sollte nur so viele Tiere halten, wie er ohne Zukauf von Futtermittel ernähren konnte. Auch ist die Verabreichung von Getreide an Kaninchen während des Krieges untersagt worden.
Eine hohe wirtschaftliche Verwertbarkeit sollte zu jener Zeit mit den anerkannten Wirtschaftrassen erzielt werden. Im Jargon der damaligen Zeit ist im Protokollbuch von 1940 zu lesen:“ Im Februar war unser Kreisfachgruppenvorsitzender Maier in der Versammlung anwesend und gab die neuen Richtlinien für das Zuchtjahr 1941 bekannt,und ermahnte die Mitglieder zu treuer Pflichterfüllung dem Vaterland gegenüber, damit auch jeder Volksgenosse mithilft am Gelingen der großen Aufgaben, die an unseren Führer und an jeden von uns gestellt sind und noch gestellt werden können.“ Damals genossen die wirklichen oder vermeintlichen Staatsinteressen den unbedingten Vorrang vor der individuellen Freiheit des Einzelnen. Die Präsentation der Tiere auf Ausstellungen wurde weiter durchgeführt, jedoch nur mit der geringen Anzahl der anerkannten Wirtschaftsrassen. So wurde im Februar 1942 in Pfullendorf eine vielbeachtete Kreiskaninchenschau unter Leitung von Kreisfachgruppenführer Matthias Krom, Pfullendorf, abgehalten. Trotzdem gab es Züchter, die ihre Lieblingsrassen weitergezüchtet haben u. so zum Erhalt der ursprünglichen Rassenvielfalt beigetragen haben. So gibt es heute beispielsweise bei den Kaninchen über 50 anerkannte Rassen bei über 350 Farbenschlägen.
Eine kritische Betrachtung der Kleintierzucht-Richtlinien des Reichsverbandes Deutscher Kleintierzüchter ergibt, dass die konsequente Befolgung dieser Richtlinien den Niedergang der Rassenvielfalt von altem Deutschen Kulturgut zur Folge gehabt hätte. Dies wäre in der Folge auch der Verlust von Gen-Reserven für die landwirtschaftliche Kleintierzucht gewesen.
Die Steigerung von 5 (1933) auf 60 (1942) Mitgliedern spricht dafür, dass der Verein damals in wirtschaftlicher, materieller und ideeller Hinsicht attraktiv war. Die hohe wirtschaftliche Verwertbarkeit der Wirtschaftsrassen durch Fleisch, Eier, Felle, die Eigenversorgung in der Familie, ein kleiner Hinzuverdienst, geringe Betriebskosten, dazu die Beihilfen des Reiches, machten eine Mitgliedschaft im Verein sehr interessant. Hinzu kam die Freude am Umgang mit dem Kleintier und eine Portion Idealismus. Dies waren die wesentlichen Gründe für den enormen Aufschwung der Pfullendorfer Kleintierzucht ab 1939.